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Zum ersten Mal in Siliguri beim Butterlampenputzen 1999/2000

Knappe drei Schulferienwochen Indien inklusive Flugzeiten, so schnell wie möglich nach Siliguri auf das Klostergelände von Rinpoche. Auch wenn während des Flugs von Delhi nach Bagdogra noch die Reihe der majestätischen Bergriesen lockend in meinen Erinnerungen vor langer Zeit wühlte. Aber das Retreat ist wichtiger, es zieht mich schon seit Jahren magisch an. Jetzt ist es endlich soweit. Ich komme.  

Und dann tagein, tagaus immer das Gleiche (frei nach einem schönen Gedicht von Hans-Maria): Um sechs Uhr aufstehen, Butterlampen anzünden und Niederwerfungen. Sieben Uhr kleine Rigdzin, acht Uhr Phase I der hungrigen Geister nach dem Motto "Wer hat die letzten frisch gebackenen Brote genommen" . Vormittags große Gurupuja. Butterlampen putzen, Dochte stecken und Öl aufgießen. Mittags Phase II der hungrigen Geister, dann Butterlampen anzünden. Dann Puja beenden, Butterlampengebet, manchmal andere Sadhanas. Dann wieder Butterlampen putzen. Dann Phase III der hungrigen Geister. Dann kleine Rigdzin. Dann irgendwann Bettgehen. Morgen ist auch noch ein Tag.

Tag ein, Tag aus immer der gleiche Ablauf, und doch ist jeder Tag so spannend, so verschieden, mit tausend Inhalten, Überraschungen und wie bei jedem, so auch bei mir, mit vielfältigen persönlichen unbeschreiblichen Lernprozessen, Erinnerungen, Erkenntnissen, Zweifeln, Übermut, Dankbarkeit und Glücksgefühlen angefüllt. Ich schaffe es einfach nicht (wie auch ??) gleichmäßig wohlig die Meditationszeiten und die Nähe zu Rinpoche in steten Zuwachs an Weisheit und Glückseligkeit umzuwandeln. Es hat mich geschüttelt und gewirbelt, und im nächsten Moment denke ich, jetzt habe ich Erleuchtung, kurz darauf bin ich am Boden zerstört und fühle mich mickrig und unfähig. Und dann plötzlich wieder dicke Sonnenstrahlen in meinem Gehirn. Die Waschmaschine ist auf vollen Touren.

Und jeden Tag Butterlampen Putzen. Kein Zwang, keine Arbeit - ein Segen, ein Geschenk, daß ich dies verrichten darf, ein tiefer symbolischer Vorgang, bebildert und initiiert von dem immensen Schatz des Butterlampengebetes, eine konkrete Handlung, an der ich nicht nur meine eigene oder die weltliche Reinigung üben kann. Schritt für Schritt, Tuch für Tuch sich der verschiedenen Aspekte des Verbrennens, des Strahlens und des Opferns erinnern. Wieder ein klein bißchen mehr vom Inhalt des Butterlampengebets und dadurch vom Leben verstehen. Wie in jedem Zusammenleben gedeiht aber auch hier die Versuchung, nicht im Hier und Jetzt bei mir und dem einen Lampengefäß zu verweilen, das ich gerade putze. Sondern die anderen Mitputzer und auch die Nicht-Mitputzer zu bewerten.

Das alte Spiel vom Ego bewußt erleben kann zum Genuß werden, wenn ich mit etwas Abstand mich selbst drinnen verwickelt beobachte. Die Irrtümer gleich Altertümern gepflegt und sehr vertraut. Kaum bemerke ich etwas, kommt mein innerer Kommentator, vergleicht, beurteilt, bewertet, und sucht Vorteile. Und baut "meine" Welt als Illusion wieder einmal auf, und später wieder um, um dann wieder ab und anders wieder auf....Ein full-time-job, denn es gibt ja auch außer dem Putzen noch viele Gelegenheiten, meine Wünsche und Erinnerungen, andere Menschen und Ereignisse zu beobachten und dann zu ergreifen. Die Eßzeremonien, "wichtige" Gespräche, alles auf dem Retreat kann zur Beschäftigungspolitik dienen. Und den einfachen Moment überdecken. Die Mitmenschen als Spiegel meiner Gedanken. Und doch ist es manchmal so leicht, immer wieder los lassen zu können und die automatisch folgenden Schritte nicht mit zu gehen. Wozu auch diese Gedanken produzieren, wozu auch diese Gefühle aufbauen, und vor allem, für wen? Und dann, immer öfters, einfach putzen, ohne symbolische Vorstellung im Hintergrund, einfach putzen, weil die Butterlampen da sind und ich da bin.

Und natürlich, weil Rinpoche da ist. Auch einfach da. Mit soviel Liebe und Präsens. Er weiß, was für mich, gerade für mich, wichtig ist. Das ist schon so, seit ich ihn kenne. Er gibt mir genau die notwendigen Einweihungen zum richtigen Zeitpunkt, dann, wenn ich endlich reif dafür bin, etwas davon aufzunehmen und vor allem anzuwenden. Eindrucksvolle und tiefe Zeremonien der Dharmaschützer, der Chödpraxis Yumchenmo und als Sahnehäubchen wieder einmal GuruRinpoche. "Wer will diese Einweihung?" ? "Alle!" Und alle sind begeistert, als Rinpoche zur Dharmaschützereinweihung mit wallendem Haar erscheint ? Fotos werden gezückt. "Rinpoche, you so beautiful like a woman"....

Es ist schön, so viel Liebe und Hingabe von Rinpoches Seite zu erleben. Er will anwesend sein, auch wenn er krank ist. Es ist aber auch schön, wieviel Liebe zu ihm in allen Teilnehmern wächst und zum Vorschein kommt. Ein Gedanke: es ist meine Liebe für ihn, aber eigentlich öffnet sie mich und berührt doch alle Menschen. Ähnlich dem Sampa Lhundrup, das ich für Rinpoches Leben rezitiere, das aber doch die Welt meint.

Ach ja, und die Feste, Rinpoches Geburtstagsfest und tatsächlich, auch das Milleniumsfest ist ohne viel Aufwand machbar. Einfach mit Puja, Menü, Lagerfeuer, Whisky, Tanzen, Singen, Umarmen, Stille und natürlich einer extra Runde Butterlampen. Alles da. Sogar mitgebrachter Kaffee zu den meisterlichen Wiener Apfelstrudel. Bunte Mischung harmonisch, wie selbstverständlich. Und Rinpoche mittendrin. Er verbringt diese Nacht mit uns auf dem Camp. -

Also, eigentlich doch tagein, tagaus, das Gleiche. Die Tage vergehen im Fluge, und ich muß, viel zu früh, wieder zurück nach Hause. Auch nicht anders als an jedem anderen längeren Retreat.

Und das Besondere an Siliguri? Äußerlich auf alle Fälle der Stacheldraht, der mich abhält, abends zur Ablenkung ins nächste Dorf zu gehen. Die Bambushütten, umrahmt von Palmen, das asiatische Essen, die winterliche Wärme, die anfängliche Moskitoplage und Malariaangst, die nächtliche Kälte, die andere Sprache, die einfache Bauweise der indischen Arbeiter am Klosterbau erinnern an eine andere Kultur. Die fröhlichen Mönche als Hilfe, die abwechslungsreiche Küche mit "Wann gibt es wieder Momo?" als Hit und Nudelsuppe und Erbsengemüse zum Frühstück als besondere Note. John bewacht das abendliche Lagerfeuer, Smik die Frühstückseier, Cengiz den Rollstuhl, der Bäckermeister das flüssige Öl für die Butterlampen, Vrauke die Hüttenschlüssel, Hilke das Eßensgeschirr und Andrea unfreiwillig aber souverän die Kopien. Die harmonische Stimmung auf dem Campgelände bestärkt. - Innerlich zählen aber vor allem die eigenen intensiven Erlebnisse mit mir.

Im Flugzeug zurück will ich unbedingt meinen reservierten Fensterplatz, um ungestört von den Bergen Abschied nehmen zu können. Da muß sogar ein Kind weichen. Und dann....alle Berge in Wolken verhüllt. Danke. Alltag, du hast mich wieder.

 

entnommen Rundbrief 3/2000

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