Aktuelle Seite: Home Sangha Leben, Sterben und Wiedergeburt

Leben, Sterben und Wiedergeburt

Leben, Sterben und Wiedergeburt lautet das Thema unseres diesjährigen Rundbriefes. Dieses Thema hat sich im Laufe des letzten Jahres ganz von selbst herauskristallisiert. Ausschlaggebend waren vielleicht der Tod eines Familienmitgliedes, Gespräche mit Freunden über den Tod oder mit jenen, die an schweren Krankheiten erkrankt sind, oder die starke Präsenz, die ein körperloser Rinpoche immer noch hat.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle einen wundervollen Artikel von Chagdug Tulku Rinpoche über die Vorbereitung auf den Tod drucken (Chagdug Tulku, Tore in die Freiheit, Kapitel: Vorbereitung auf den Tod). Leider ist es uns nicht gelungen, die Erlaubnis für den Druck zu bekommen. Ich versuche daher, die wichtigsten Punkte hier mit eigenen Worten wiederzugeben. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass dies nicht im Geringsten an die  äußerst mitfühlenden und klaren Belehrungen von Chagdug Tulku Rinpoche heranreicht. Ich empfehle daher denen, die sich für dieses Thema interessieren, den Artikel noch einmal selbst zu lesen. Außerdem habe ich Inhalte aus folgenden Büchern mit in den Artikel einfließen lassen:

  • Dudjom Rinpoche: Counsels from my heart. Kapitel: An introduction to the Bardo.

  • Dzongsar Jamyang Khyentse:
    What makes you not a buddhist.

  • Irvin D. Yalom: In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet.

Das letzte Buch ist von einem ame­rikanischen Psychotherapeuten geschrie­ben und hat nichts mit Religion zu tun, sondern befasst sich mit der Angst vor dem Tod und Möglichkeiten, diese zu identifizieren, damit umzugehen und das Leben dadurch zu berei­chern. Ein sehr sensibles und durchaus hilf­reiches, empfehlens­wertes Buch, wie ich finde.

Hier in Europa begegnet man dem Tod eher selten. Er wird versteckt und wie etwas Unsauberes, Anormales behandelt. Selbst Leichenwagen sieht man nicht mehr auf den Straßen. In Indien gehört es dazu, ab und zu mal Leichen zu sehen oder Leichenzüge, Trauernde, oder mit alten Menschen im Zug zu sitzen, die auf dem Weg nach Varanasi sind, zum heiligen Ganges, um sich dort auf ihre letzte Reise vorzubereiten.

Warum verstecken wir den Tod?

Haben wir Angst uns anzustecken? Theoretisch wissen wir ja, dass das Leben unweigerlich mit dem Tod endet, doch wir versuchen, die Tatsache so lange wie möglich zu ignorieren. Zum Geburtstag blasen wir fröhlich die Kerzen auf dem Kuchen aus – und übersehen dabei die Tatsache, dass all die Lichter für Jahre stehen die unwiderruflich vorbei sind und uns nur näher an den Tod heranbringen. Wir färben uns die Haare, machen Yoga, straffen und bepinseln unsere Falten, essen nur Bio und alles, um uns der Illusion hinzugeben, wir würden nicht altern. Wem hilft dieses Ignorieren? Je mehr wir den Tod verdrängen, desto einfacher fällt es uns, sinnlose Dinge zu tun. Je mehr wir den Tod ins Bewusstsein holen, desto bewusster leben wir auch.

Warum sollten wir uns mit dem Tod auseinandersetzen?

Die Auseinandersetzung mit dem Tod kann sich direkt auf unser Lebensgefühl auswirken.

Sie kann uns frei machen von vielen Ängsten und Kleinlichkeiten, uns die Augen für die Kostbarkeit des Augenblicks öffnen. Angst vor dem Tod erscheint nur selten unmaskiert. Meist manifestiert sie sich ganz versteckt als allgemeine Beunruhigung, als Paranoia, Einsamkeit, Schuld, als die Kraft die uns alle möglichen und unmöglichen Dinge tun lässt. Oft ist die Angst vor dem Tod gekoppelt mit dem Gefühl eines ungelebten Lebens. Je geringer die Zufrie­denheit im Leben, desto größer die Todes­furcht. Wenn man sich dem Tod stellt, wenn man lernt, dem Tod ins Gesicht zu schauen, bändigt das nicht nur die Angst, sondern führt durch ein wirkliches Begreifen der Endlichkeit dieses Lebens dazu, die Kost­barkeit jeden Augenblickes auszukosten und Mitgefühl für sich selbst und seine Mitmenschen zu entwickeln. Die Beschäfti­gung mit dem Thema Tod kann also zu einer Anleitung für das Leben selbst führen.

Sie kann zu der Erkenntnis führen, dass in unserem Leben keine positive Veränderung geschehen, solange wir uns an den Gedanken klammern, dass der Grund dafür, dass wir nicht gut leben, außerhalb von uns selbst liegt.

Es sind nicht unbedingt unsere Erfah­rungen selbst, die die Qualität unseres Lebens vermindern, sondern unsere In­terpre­tationen und Bewertungen dieser Erfahrungen.

Andererseits sehen die Buddhisten im Tod einen starken Helfer auf dem Weg zur Freiheit. Ein tibetisches Sprichwort sagt: „Wenn Du mal musst, ist es zu spät eine Latrine zu bauen.“ Die Vor­berei­tung auf den Tod gehört also in die Zeit des Lebens und da wir nicht wissen, wann er uns begegnet wird, ist es wohl gut „allzeit bereit“ zu sein. Also jetzt. Im Moment unseres Todes wird unsere Praxis dann ihre Früchte zeigen. Wenn man er­kennt, dass der Tod unaus­weichlich ist, ein Teil eines Kreis­laufes, verschwindet jede Hoffnung, und wo keine blinde Hoffnung ist, ist auch keine Enttäuschung.

Der Prozess des Sterbens

Es ist äußerst wichtig den Moment des Todes als solchen zu identifizieren! Gib alle Anhaftung an die Dinge dieses Lebens auf. Wenn der Tod bevorsteht wird dir aufgehen, dass du rein gar nichts aus deinem Leben mitnehmen kannst. Das Einzige, das dich begleitet, ist dein Karma. Um der Anhaftung an deinen Besitz entgegen zu wirken und Verdienst anzusammeln, ist es gut, recht­zeitig ein Testament zu schreiben und z.B. einem Kloster etwas zu spenden. In den Klöstern wird Verdienst unablässig ge­widmet, wodurch es ungeheuer stark ver­mehrt wird und langfristig wirkt.

Reinige deinen Geist, indem du deine schlechten Taten bekennst. Bete zu den drei Juwelen und ihrer Essenz – deinem Wurzel­lama. Dies sind die Grund­vor­aus­setzungen, um in ein reines Land geführt zu werden. Wenn du die Übertragung des Bewusstseins in ein reines Land (Phowa) geübt hast, kannst du diese Technik anwenden, oder ein Lama oder Freund, der weiß wie es gemacht wird, kann das für dich tun. Diese Praxis sollte gleich gemacht werden, nachdem die Atmung aufgehört hat.

Wenn du stirbst, lösen sich die Ele­mente, aus denen du zusammengesetzt bist, voneinander und ineinander auf. Wenn diese Auflösung vollständig ist, stoppt deine Atmung. Die im Kopf gespeicherte männliche Energie sinkt herab und die im Bauch gespeicherte weibliche Energie steigt herauf – beide verschmelzen im Herzen miteinander und in diesem Moment verlässt dein Geist den Körper. Hast du keine tiefe, beständige Erfahrung in der Meditation, fällst du an diesem Punkt in einen Zu­stand der Bewusstlosigkeit.

Hast du eine sehr gefestigte Medi­tation, löst sich dein Bewusstsein in den Raum und der Raum in eine Erfahrung von klarem Licht auf. Dieses klare Licht hat überhaupt nichts mit Licht im üblichen Sinne zu tun, sondern beinhaltet Klarheit als Fehlen von Täuschung, von Subjekt-Objekt-Dualität, von Dumpfheit und Vorstellungen. Wenn du in deiner Meditation dieses klare Licht erkannt hast – und ihm dann in dem Raum nach dem Tod wieder begegnest, ist das so, als würden sich Mutter und Kind treffen. Das ist die Dharmakaya-Befreiung.

Hast du nicht genügend praktiziert, erscheint dir das klare Licht nur wie ein Aufblitzen und du erwachst in schrecklichen Visionen. Die friedlichen und zornvollen Gottheiten erscheinen dir. Wenn du in den auftauchenden Phänomenen das Strahlen deines eigenen Gewahrseins erkennst, wird dieser Übergang für dich zur Sambhoga­kaya-Befreiung.

Erkennst du die Erscheinungen nicht als dein eigenes inneres Gewahrsein, erschre­cken sie dich fürchterlich. Wenn deine Angst am größten ist, verblassen die Visionen und dein Geist verlässt den Körper aufgeregt durch die entsprechende Öffnung. Du be­trittst nun den Bardo. Jetzt ist dein Geist ohne jegliche physische Unterstützung, nur ein subtiler Körper aus Licht. Du kannst an jeden beliebigen Ort gehen, einfach indem du daran denkst, bist du schon da. Du weißt, was andere Leute, z.B. deine Familie und Freunde (über dich) denken. Trotz deines fleischlosen Körpers hast du Erfahrungen von Hunger und Durst, Hitze und Kälte. Hier können Gebete und verdienstvolle Taten, die andere nach deinem Tode für dich ausfüh­ren, von großem Nutzen für dich sein. Hast du in deinem Leben die Angewohnheit ge­habt, in aussichtslosen Situationen zu beten und an deinen Wurzellama zu denken, wirst du das hier wieder tun. Sobald du dann an die Quelle deiner Zuflucht denkst, wirst du im Reinen Land des betreffenden Weisheits­wesens wiedergeboren. Dies ist die Nirma­nakaya-Befreiung.

Geschieht dies nicht, sucht sich dein ruheloser, gejagter Geist Schutz und tritt ein in den Leib deiner zukünftigen Mutter und du stürzt dich in einen neuen Traum. Deine nächste Existenz beginnt...

Sei dir darüber klar, dass alles vergäng­lich ist! Erinnere dich, dass Emo­tionen nur Leiden hervorbringen und dass die Phä­nomene keine eigene Existenz haben! Und erfahre Nirvana, welches jenseits aller Kon­zepte ist.

Kleine Übung

Nicht nur in der griechischen Mythologie sind der Tod und der Schlaf Brüder (Hypnos und Thanatos). Der Schlaf ist ein ganz kleiner Tod und wir können ihn nutzen, um uns „im Sterben zu üben“. Stell dir vor dem Zubettgehen vor, dass dies dein letzter Tag gewesen ist. Morgen wirst du nicht mehr aufwachen. Lass Dein Leben an dir vorüberziehen, reflektiere es! Visualisiere ein Weisheitswesen über deinem Kopf und reinige, mittels der vier Kräfte, deine Untugenden. Gib im Geiste deinen Besitz all jenen, die es brauchen können. Widme den Verdienst allen Lebewesen. Dann stell dir vor, wie dein Bewusstsein am Scheitel deines Kopfes heraustritt und sich mit dem Weisheitswesen oder dem ursprünglichen Raum vereint. Die Vertrautheit mit dieser Übung wird deine Meditation zum Zeitpunkt deines Todes wirkungsvoller machen.

Wie gefestigt deine Meditation zum Zeit­punkt deines Todes ist, kannst du ein­schätzen, indem du deine Träume beobachtest. Wenn du nicht mehr in die Traumphä­nomene verstrickt bist, sondern im Gewahr­sein verweilen kannst ist deine Übung sehr weit entwickelt, der Tod ist ein Tor zur Befreiung für dich. Ist dir im Traum be­wusst, dass du träumst, wirst du auch wäh­rend des Sterbens eine Kontrolle über die Si­tuation haben. Wenn du von deinen Traum­bildern gefangen bist und von deinen Emo­tionen überwältigt, wirst du auch im Tod emotional beeinflusst sein und es sind immer die Emotionen, die zum Leiden führen.

Wie können wir einem Sterbenden beistehen?

Sicher wäre es schön, einen Ort zu schaf­fen oder zu finden an dem man „in Frieden“ sterben kann, einen Ort, wo kaum Ablenkung vorhanden ist und Konzentration ganz natürlich entsteht. Da der Tod uns aber entweder unvorbereitet oder nach einer langen Krankengeschichte trifft, ist dies si­cherlich schwierig. Die meisten medi­zinischen Einrichtungen haben kein entsprechend, geschultes Personal, und der Tod ist in diesen Einrichtungen etwas sehr Unpersönli­ches. Ich weiß nicht, was für einen Einfluss die hektischen medizinischen Maß­nahmen auf die Konzentration des Ster­benden tat­sächlich haben. Aber was für Möglichkeiten haben wir? Leider gibt es, soweit mir be­kannt, keine alternativen Sterbe­häuser. Wir könnten den Sterbenden also unterstützen, indem wir ihm helfen das bestmögliche Um­feld zu schaffen.

Unsicherheit im Umgang mit dem Tod ist ganz nor­mal. Niemand von uns kennt sich wirk­lich damit aus. Manch­mal werden in der Ge­genwart des Ster­benden Familienangehö­rige und Freunde dis­tanz­iert, sie wissen nicht, was sie sagen sollen und ver­meiden Nähe aus Angst, mit ihrem eigenen Tod konfrontiert zu werden. Wir kön­nen dem Sterbenden hel­fen, indem wir authentisch bleiben, auch wenn dies bedeutet, dass wir mit ihm über unsere eigene Unsicherheit im Umgang mit dem Tod sprechen und ihn fragen, was für ihn am angenehmsten ist. Manche wünschen sich vielleicht körperli­chen Kontakt und andere wollen nur reden oder ruhig beisammen sitzen.

Wir sollten den Sterbenden daran er­innern, dass seine Elemente sich auflösen und er sterben wird. Wenn er kein prakti­zierender Buddhist ist, kann man ihn bitten, sich auf den Raum oberhalb seines Kopfes zu konzentrieren. Dies hat zwei positive Wirkungen: Erstens lenkt es ihn von Schmerz und Angst ab. Zweitens verlässt sein Bewusstsein den physischen Körper nicht durch eines der unteren „Tore“, die zur Wiedergeburt in einem niederen Bereich führen. Acht Fingerbreit hinter dem ur­sprünglichen Haaransatz, am obersten Punkt des Kopfes, liegt das Tor zur Wiedergeburt in einem Reinen Land. Konzentriert er sich in den Tagen vor dem Tod darauf und vi­sualisiert, dass er mit dem Raum über dem Kopf oder mit einem Weisheitswesen, dem er vertraut, versch­milzt, wird er zumindest nicht in einem der niederen Bereiche wieder­geboren. Einem Sterbenden buddhistische Visualisation bei­bringen zu wollen, stiftet si­cher nur Ver­wirrung. Man sollte den Sterbenden unterstützen, ein Objekt seines Vertrauens über seinem Kopf zu vi­sualisieren und zu beten, dass er mit ihm vereint wird. Berühre den Sterbenden im Au­genblick des To­des am obersten Punkt sei­nes Kopf­es, je­doch an kei­nen anderen Teil seines Körpers.

Wenn es möglich ist, sollte von dem Ster­benden rechtzei­tig Abschied ge­nommen werden. Im Augenblick des To­des sollte er nicht von seinen Ver­wand­ten und Nahe­stehenden abgelenkt werden.

Aus buddhistischer Sicht ist es ratsam den Körper des Toten einige Tage auf­zu­be­wahren. Der Geist sollte sich erst vollständig vom Körper gelöst haben, bevor der Körper bewegt wird. Wir können für den Ver­storbenden beten, ihm Speisen und Kleidung opfern. Dies wird ihn  im Bardo un­ter­stüt­zen, ihn beschützen und so von großer Hilfe für ihn sein. Gebete sind wie schützende Be­gleiter und sie können den Sterbenden leiten. Der Bardo dauert 49 Tage. Während der ers­ten einundzwanzig Tage nimmt der Ver­stor­bene sich noch in seiner alten Form wahr – später hat er dann Wahrnehmungen ent­sprechend seiner zu­künftigen Wiedergeburt. Daher sind Gebete und Ansammlungen von Verdienst, die man dem Verstorbenen wid­met, be­sonders in den ersten drei Wochen von entschiedener Be­deutung.

Eine äußerst kompakte und praktikable Erklärung zur Vorbereitung auf den Tod, die ich euch nicht vorenthalten möchte, gab Padmasambhava an Yeshe Tsogyal:

Er war dabei, Tibet zu verlassen und da sagte sie zu ihm: „Erhabener Meister, Ihr geht, um die Rakshas zu bezwingen, und lasst mich hier in Tibet zurück. Meister, obwohl ich Euch so lange gedient habe, wird diese alte Frau angesichts des Todes von Unsicherheit befallen. Ich bitte Euch deshalb inständig, mir eine Unterweisung zu geben, die alle Lehren in sich vereint, die kurz ist und einfach zu praktizieren.“

Der erhabene Meister erwiderte: „Du, die Du voll hingebender Verehrung bist und einen vertrauensvollen und tugendhaften Geist hast, höre mir zu.

Obwohl es viele tiefsinnigen Schlüssel­unterweisungen für den Körper gibt: Bleibe einfach frei, entspannt und gelassen, so, wie du dich wohl fühlst. Darin ist alles enthalten.

Obwohl es viele Schlüsselunterweisungen für die Rede gibt, wie die Kontrolle des Atems und des Rezitieren von Mantras: Schweige einfach, sei still und stumm wie jemand, der die Sprache verloren hat. Darin ist alles enthalten.

Obwohl es viele Schlüsselunterweisungen für den Geist gib, wie Konzentration, Los­lassen, Ausstrahlen, Auflösen, Sich-nach-In­nen-Wenden, alles ist darin ent­halten, ihn einfach in seinem natürlichen Zustand zu lassen, ungekünstelt, offen und entspannt.

In diesem Zustand ist der Geist nicht nur in Ruhe. Fragt man sich: „Ist er nichts?“, so schimmert er und blitzt auf wie Dunstschlei­er im Sonnenlicht. Fragt man sich aber: „Ist er etwas?“, so hat er keine erkennbare Farbe oder Form, ist nichts als gänzlich leer und vollständig gewahr – das ist die wahre Natur des Geistes.

Dessen vollkommen gewiss zu sein, nachdem man des erkannt hat – dies ist die Sicht. Unabgelenkt in diesem Zustand der Stille zu verweilen, ohne etwas ändern zu wollen oder an etwas festzuhalten – dies ist die Meditation. Gegenüber den Erfahrungen der sechs Sinneskäfte frei von festhalten Wollen und Anhaften, Annehmen oder Ab­lehnen, Hoffnung oder Angst zu sein – dies ist das Verhalten.

Wann immer Zweifel auftaucht oder ein Zögern entsteht, bete zu deinem Meister. Halte dich nicht unter gewöhnlichen, weltlichen Menschen auf, praktiziere in Zurückgezogenheit. Gib das Hängen an dem auf, was dir am teuersten ist, sowie an dem­je­ni­gen Wesen, zu dem du in diesem Leben die stärkste Verbindung fühlst, und praktiziere. Auf diese Weise wird dein Geist, obwohl dein Körper seine menschliche Form behält, dem der Buddhas gleichen.

Angesichts des Todes praktizierst du, wie nun folgt:

Durch das Sich-Auflösen des Erd­elements ins Wasserelement wird der Körper schwer und kann sich nicht mehr aufrecht halten. Durch das Sich-Auflösen des Wasser­elements ins Element Feuer trocknen Mund und Nase aus. Wenn das Feuer­element sich ins Element Wasser auflöst, schwindet die Körperwärme. Der Wind, der sich ins Be­wusstsein auflöst, bewirkt, dass man nur noch mit einem Rasseln ausatmen und mit einem Keuchen einatmen kann.

Du hast das Gefühl, von einem riesigen Berg erdrückt zu werden, von Dunkelheit eingeschlossen zu sein oder in die Weiten des Alls zu fallen. All diese Erfahrungen werden von donnernden und schallenden Tö­nen begleitet. Der Himmel wird von einem strahlenden Glanz sein wie auseinander gefalteter Brokat.

Dann werden die natürlichen Manifesta­tionen deines Geistes, die friedvollen, ra­senden und halbrasenden Gottheiten und jene mit verschiedenen Häuptern, unter einer Kuppel von regenbogenfarbigen Lichtern den Himmel erfüllen. Waffenschwingend werden sie „Schlage!  Schlage!“, „Töte! Töte!“, „Hung! Hung!“, „Phat! Phat!“ rufen und andere wilde Laute ausstoßen. Dazu wird ein Licht erscheinen, so stark wie hunderttausend Sonnen.

In diesem Augenblick wird deine innere Gottheit dich daran erinnern, die Bewusst­heit zu wahren, indem sie dir sagt: Lass dich nicht ablenken! Lass dich nicht ablenken! Dein innerer Dämon wird versuchen, all die Erfahrung, die du erlangt hast, zusammen­brechen zu lassen. Er wird scharfe und wilde Laute ausstoßen und dich verwirren.

Hier nun musst du wissen: Das Gefühl, von einem Berg erdrückt zu werden, rührt von deinen eigenen Elementen her, die sich auflösen. Hab keine Angst davor! Das Ge­fühl, von Dunkelheit eingeschlossen zu werden, rührt her von dem Sich-Auflösen deiner fünf Sinne. Das Gefühl, in die Weite des Alls zu fallen, entsteht dadurch, dass dein Geist, da er sich von deinem Körper ge­trennt hat, nun ohne Stütze ist und deine At­mung aufgehört hat.

Alle Erfahrungen von regenbogenfarbigen Lichtern sind die natürlichen Manifesta­tionen deines eigenen Geistes. All die fried­vollen und rasenden Gottheiten sind die na­türlichen Ausformungen deines eigenen Geistes. Alle Laute sind deine eigenen Lau­te. Alle Lichter sind deine eigenen Lich­ter. Zweifle nicht daran! Sowie du Zweifel fühlst, wirst du in Samsara fallen. Wenn du – nachdem du dies alles als die Selbstent­faltung deines eigenen Geistes erkannt hast – fähig bist, hellwach in leuch­tender Leerheit zu verweilen, wirst du allein dadurch die Drei Kayas und die Erleuchtung erlangen. Selbst wenn du in Samsara geworfen wür­dest, wirst du ihm entgehen.

Die innere Gottheit ist dein gegenwärtiges Halten des Geistes in unzerstreuter Achtsam­keit. Von jetzt an ist es von ent­schei­dender Bedeutung, ohne Hoffnung und ohne Frucht gegenüber den Objekten der sechs Sinnes­kräfte und gegenüber freud­vollen und leid­vollen Erfahrungen zu sein, dich nicht an sie zu klammern und an ihnen festzuhalten. Wenn du hierin jetzt Festigkeit erlangst, wird du im Bardo deinen natürlichen Zustand einnehmen und Erleuchtung finden. Aus diesem Grund musst du unbedingt von nun an ohne jede Ablenkung praktizieren.

Der innere Dämon ist deine gegenwärtige Neigung zu Unwissenheit, dein Zweifeln und Zögern. Lass dich, wenn du stirbst, von den verschiedenen furchterregenden Phä­nomenen wie Klängen, Farben und Lichtern nicht faszinieren. Zweifle nicht, hab keine Angst. Wenn du auch nur einen Augenblick lang zweifelst, wirst du in die samsarischen Bereiche fallen. Du musst also uner­schüt­terli­che Festigkeit entwickeln.

Zu diesem Zeitpunkt werden die Ein­gänge in den Mutterschoß wie himmlische Paläste erscheinen. Widerstehe ihrer Anzie­hungskraft, sei standhaft, ohne Hoffnung, ohne Angst! Ich gebe dir meinen Eid darauf, dass du auf diese Weise Erleuchtung erlangen wirst, ohne durch weitere Wieder­geburten gehen zu müssen.

Es ist nicht so, dass einem ein Buddha hilft, wenn man stirbt – deine eigene Be­wusstheit ist von Anfang an erleuchtet. Und es ist nicht so, dass du in den Höllen­be­reichen Schaden nimmst – wenn das Haf­ten an den Dingen sich ganz natürlich löst, wird die Angst vor Samsara und die Hoff­nung auf Nirvana an der Wurzel durchschnitten.

Erleuchtung zu erlangen kann verglichen werden mit Wasser, das sich von Trüb­stof­fen klärt, Gold, das von Unreinheiten ge­reinigt wird, oder mit einem wolken­ver­handenen Himmel, der sich erhellt.

Nachdem du den dem offenem Raum gleichenden Dharmakaya zu deinem eigenen Nutzen und Wohl erlangt hast, wirst du das Wohl der Lebewesen, soweit der offenen Raum reicht, erfüllen. Nachdem du den Sambhogakaya und Nirmanakaya zum Wohl der anderen erlangt hast, wirst du den Lebewesen von Nutzen sein, so weit dein Geist die Phänomene durchdringt.

Selbst ein großer Sünder wie jemand, der Vater und Mutter getötet hat, wird nicht wieder in Samsara fallen, wenn ihm diese Unterweisung dreimal gegeben werden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er zur Erleuchtung gelangen wird.

Auch wenn du manch andere tiefgründige Lehre empfangen hast, ohne eine Unter­weisung wie diese bleibst du weit vom Ziel entfernt. Praktiziere sie unermüdlich, denn du kannst nicht wissen, in welchem Dasein­s­bereich du dich wiederfinden wirst...“
(Die Geheimen Dakini Lehren, Kapitel: Die Quintessenz der mündlichen Unter­weisun­gen)

Damit möchte ich mich erst einmal von euch verabschieden. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Artikel euch inspiriert euch mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Ihr könnt euch auch gern bei mir melden und dann würde ich euch den Text „Vorbereitung auf den Tod“ von Chagdug Tulku zukom­men lassen.

Liebe Grüße von Anne Wanitschek
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Aktuelle Seite: Home Sangha Leben, Sterben und Wiedergeburt