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Karin Trembaczowski: Reteratsommer in Darnkow 2005

Seit Jahren ist das Butterlampenretreat wirklich das Sorgenkind für die Organisatoren der Sommerretreats in Darnkow. Außer im Sommer 2004 war es jahrelang nicht mehr gelungen, die volle Anzahl (also 111 111) Butterlampen zu opfern. Obwohl den meisten von uns die Bedeutung dieser Opferung völlig klar ist, scheint die Umsetzung jedes Jahr aufs neue fast aussichtslos. Wir versuchten, Lösungen zu finden, um die Durchführung so zu gewährleisten wie unser Rinpoche es vorgegeben hatte, nämlich jeden Sommer in Polen 111 111 Butterlampen für den Frieden und die Verbesserung der Umstände in der Welt zu opfern. Die Idee, das Butterlampenretreat, zu dem im Lauf der Jahre traditionsgemäß leider nur sehr wenige Teilnehmer kamen, während anderer Teachings abzuhalten, scheiterte daran, daß es zeitlich wirklich nicht zu schaffen war, Pujas, Teachings, Meditation und Reinigung der Lampen auf einmal zu bewältigen. Eine andere Idee, nämlich die Teilnahme am Retreat für ein paar Leute zu sponsern, die sich dann ausschließlich um die Lampen kümmern sollten, funktionierte leider ebensowenig. Bewährt hat sich das Sponsoring für Öl; dadurch ist unabhängig von der Teilnehmerzahl die Basis des Retreats auf jeden Fall gewährleistet. Doch jedes Jahr war für die Organisatoren eine neue Zitterpartie – schaffen wir’s oder nicht, kommen genug engagierte Dharmafreunde oder nicht.

 

Es war das neunte Butterlampenretreat in diesem Sommer in Darnkow. Und irgendwie war es total anders als in den Jahren davor. Vielleicht lag es daran, daß mit Anne und Sebastian ein paar echte, engagierte Profis dazugekommen waren oder daß durch das Gelingen der Gesamtopferung im Vorjahr die Motivation der meisten Teilnehmer besonders gut war; in jeder Hinsicht war es jedenfalls ein Bilderbuchretreat.

Schon während der Teachings mit Tulku Thondup hatten Frauke und Susanne (ebenfalls engagierte Profis) eine Grundreinigung der Butterlampen organisiert. Seit Jahren war es uns nie gelungen, dies zu bewerkstelligen. Warum? Zu wenig Leute, zu wenig Zeit, zu wenig Lust. Viele Jahre diskutieren wir schon darüber, wie man die Lampen nach dreiwöchigem Brennen wirklich wieder sauber (d.h. golden) kriegt; es gab im Laufe der Zeit viele Ideen und Vorschläge, doch immer blieben die Lampen ziemlich schmutzig zurück. In diesem Sommer wollten wir unbedingt mit „schönen“ Lampen starten und wir entschieden uns für die simple, allerdings zeitaufwendige, Kochmethode. Also ein großer Topf, Wasser und Lampen hinein, anschüren und einige Stunden kochen. Bernhard betreute von früh morgens an die Feuerstelle, und wirklich von alleine fanden sich immer genug Freiwillige, die die Grundreinigung durchführten.

 

Kurz vor Beginn des Retreats wurden dann in der Lampengompa noch ein paar Tische repariert oder ausgetauscht, alles geputzt, Lappen, Dochte und Öl vorbereitet, und eigentlich hätte es dann losgehen können. Pünktlich und mit total goldenen Lampen. Doch es kam ganz anders.

Am Vortag der Ankunft von Tulku Ugyen, der das Butterlampenretreat in diesem Jahr eröffnen sollte, packten Anne, die kleine Yeshe La und ich die wunderschön goldenen Lämpchen aus den Kisten und begannen sie aufzustellen. Uns war schon am Vortag ein seltsames Piepsen in der Lampengompa aufgefallen, nun entdeckten wir unterm Dach plötzlich die Ursache – ein Vogelnest voll mit kleinen Bachstelzen. Wir waren uns einig, daß es nicht gerade glücksverheißend sein würde, ein Butterlampenretreat damit zu beginnen, daß wir den Tod von fühlenden Wesen riskieren. Also was tun? Als erstes auf jeden Fall den Beginn des Retreats verschieben – das war klar. Doch wie lange? Nach Prüfung des Nestes sahen wir, daß fast alle Bachstelzenkinder schon soweit flügge waren, daß sie um das Nest herumhüpften; deshalb wurde Jacek beauftragt, den Nestbereich von innen soweit mit Holz abzudichten, daß die starke Hitze den Vögeln keinen Schaden bereiten konnte.

 

Wir starteten also mit einem Tag Verzögerung die Lampenopferung erst ganz vorsichtig mit nur 100 statt 3000 Lampen. Und selbst als wir mehr Lampen anzündeten, blieben unsere Vögelchen munter. Auch nach ein paar Tagen, als alle Bachstelzen schon immer öfter draußen von ihren Eltern gefüttert wurden, kehrten sie regelmäßig unter das heiße Blechdach zurück und begleiteten so auf ihre Weise das Retreat.

Für uns begann nun die harte Zeit mit wenig Schlaf, schlechter Luft, schwarzen Händen und Gesichtern, verbrannten Fingern, schmutzigen Klamotten und dem wohlbekannten Rhythmus: anzünden, nachzünden, putzen, Dochte stecken, füllen, zählen und wieder anzünden und das täglich - 21 Tage lang. An einer Tür der Lampengompa dokumentierten wir - wie immer - die Anzahl der geopferten Butterlampen. Regelmäßig kamen genügend Leute zum Putzen, wir hatten sozusagen ständig ein volles Haus – wenigstens zu Beginn des Retreats. Überhaupt war vieles anders im Vergleich zu den Vorjahren. Die Arbeiten liefen Hand in Hand, die meisten waren achtsam, so daß immer alles, was gebraucht wurde, auch rechtzeitig bereitstand, egal ob Öl, Dochte, Lappen, heißes Wasser oder Hölzer zum Anzünden. Über die Sprachbarrieren hinaus bildeten sich Teams, die gemeinsam natürlich viel effektiver und schneller arbeiten konnten. Dies alles entwickelte sich von selbst ohne Druck von außen; und das war in diesem Jahr wirklich ein herausragender Faktor: es gab so viele Begegnungen und Berührungen untereinander. Klar, wenn man täglich über viele Stunden zusammen auf engstem Raum miteinander arbeitet, erfährt man eine Menge über sein Gegenüber, man wird viel sensibler für die Befindlichkeiten der anderen und auch für die eigenen.

 

Wir putzen also nicht nur soundsoviel Lampen pro Tag, wir begegnen auch verstärkt karmischen Gegebenheiten mit unseren Sanghabrüdern und –schwestern und damit letztendlich unseren eigenen Unzulänglichkeiten. Man sieht sich plötzlich in die unterschiedlichsten Prozesse verwickelt und muß sich Situationen stellen, ob es einem nun gefällt oder nicht. Susanne hat das mal so schön ausgedrückt, als sie sagte: ‚Die Praxis des Butterlampenretreats endet bestimmt nicht nach den Pujas, die Hauptpraxis findet ja wohl hier in der Lampengompa statt.‘ Und genau in diesem Sinne wuchs in diesem Sommer bei so vielen Teilnehmern die Bereitschaft, sich auf alle auftauchenden Prozesse einzulassen und auch Krisen, die bei fast jedem Teilnehmer während eines solchen Retreats auftauchen, auszuhalten. Also echtes Bodhisattvatraining.

Im Laufe der drei Wochen bildete sich dadurch eine echte Gemeinschaft und auch irgendwie ein viel größeres Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb unserer Sangha. Meistens erlaubte es das Wetter, daß wir nachmittags oder abends alle draußen vor der Lampengompa zusammensaßen und dort Lampen putzten; es entwickelten sich wirklich interessante und hilfreiche Gespräche, oft sangen wir Mantras oder Lieder und wir scherzten und lachten viel miteinander. Manchmal, wenn es wieder einmal sehr spät wurde, sich dann doch Müdigkeit breit machte, kam irgendeiner mit einer kleinen Überraschung, mal waren es Kaffee und Kekse, eine Flasche Wein und Käse, mal ein paar Bier oder Süßigkeiten. Alles wurde miteinander geteilt, die Arbeit, die Zeit und die Freuden.

 

Überhaupt waren Fröhlichkeit und Lachen die tragenden Faktoren dieses Retreats; sie wurden zur starken Motivation, gemeinsam das Ziel zu erreichen, sich immer wieder Mut zu machen und nicht aufzugeben bevor alle 111 111 Lampen geopfert waren. Und selbst als etwa in der Hälfte des Retreats die Organisatoren beschlossen, weniger Lampen pro Tag zu opfern, weil die Leute müde seien, wir die volle Anzahl von 6000 Lampen täglich nicht mehr schaffen könnten und außerdem noch genug Zeit sei, da bis zum Beginn der nächsten Teachings noch ein paar freie Tage wären usw., entschieden wir uns dagegen.

 

Ein paar von uns wollten einfach nicht mittendrin nachlassen oder zu früh aufgeben, da dann erfahrungsgemäß die Motivation bei den meisten total abbaut. So hielten wir durch in unserer täglichen Praxis – von früh bis spät in die Nacht. Mehr als einmal sahen wir uns allerdings gezwungen, den großen Gong zu läuten, um zur „Reinigungs-Puja“ noch ein paar Praktizierende einzuladen. Um so unbeschreiblicher war dann aber auch die Freude, wenn abends oder nachts die letzten Dochte gesteckt und die letzten Lampen gefüllt waren. „Yeah, we did it again! Together! – Möge es allen Wesen helfen“.

 

Ja, und dann war er plötzlich da, der letzte Tag des Butterlampenretreats. Die meistens von uns waren ein bißchen traurig, daß es nun zu Ende sein sollte. In diesem Jahr wollten wir alles wirklich gut machen, deshalb beschlossen wir eine weitere Grundreinigung der Lampen zum Abschluß. Obwohl offiziell Retreatpause war bis zum Beginn der nächsten Teachings trafen wir uns weiterhin zu den Pujas, opferten täglich 600 Butterlampen und fuhren fort mit dem gründlichen Putzen der restlichen Lampen.

So lebte sie weiter, unsere kleine selbstverständliche Gemeinschaft. Füreinander, miteinander und für die anderen. Sicherlich wäre dies nicht möglich gewesen ohne den Einsatz und das Verständnis einiger Unermüdlichen, die sich aus vollem Herzen engagieren und denen eben diese Praxis der Butterlampenopferung so viel bedeutet.

 

Jeder wird wohl seine persönlichen Gründe haben, warum er oder sie an dieser Praxis teilnimmt, doch ich denke, daß ich im Namen aller Teilnehmer sagen darf, wir tun dies, damit schlechtes Karma verbrannt und bereinigt wird, damit mehr Licht, Frieden und glücklichere Umstände in die Welt gebracht werden. Wir tun es für all die Wesen, die keine Möglichkeit für eine solche Opferung haben. Und wenn aus dieser Praxis ein Verdienst entstanden ist, dann widmen wir ihn allen fühlenden Wesen.

 

Am Ende möchte ich jedem einzelnen von Euch, die Ihr auf irgendeine Weise am Retreat Anteil hattet, aus ganzem Herzen danken; ich selber habe so viel erfahren und bekommen in dieser Zeit mit Euch. Vielleicht machen wir da weiter, wo wir im August aufhören mußten – im nächsten Jahr beim Butterlampenretreat 2006 in Darnkow. Ich freue mich auf Euch.

 

Alles Liebe, viel Segen und eine gute Praxis

Karin Trembczowski

 

 


Ich bitte um Deinen Segen, vollendeter Lama,

Kostbarer Freund, der Du alle Tugenden verwirklicht hast.

Bitte gib Deinen Segen, daß liebende Güte und höchstes Mitgefühl, Bodhicitta,

In meinem Seinsstrom entstehen.

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